07.10.2013 …das heute der 64. Jahrestag der DDR wäre

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07. Oktober 1989!

40. Staatsfeiertag der DDR.

In der Oybiner Bergkirche feierten wir Erntedank.

Auf der Einladung war vermerkt: Damit wir an diesem Tag auch etwas zu feiern haben.

Das weiß ich nach 20 Jahren noch deshalb so genau, weil ich den Text und die Plakate in meinen Staatssicherheitsakten wiedergefunden habe.

Der Trompeter aus Cottbus kam eine Stunde zu spät zum Konzert: vier Mal Polizeisperren an der Grenzstraße zu Polen, vier Mal musste er seine Instrumentenetuis öffnen. Wirklich nur Trompeten.

Nach dem Konzert sprach mich ein Ehepaar an. Sie hatten Tränen in den Augen.

Der Junge sei mit Freunden verschwunden. Richtung Ungarn. Ein Zettel: Wir rufen euch aus dem Westen an.

Der andere Sohn war in Berlin bei den Grenztruppen. Urlaubssperre.

Abends war ich fassungslos. Vor dem Fernseher. Jubelnd ziehen Massen in Berlin am Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR und Vorsitzenden des Verteidigungsrates usw. vorbei. Später würden die Marschierer sagen, ihre geballten Fäuste in Richtung Tribüne waren ihr Protest. Die lachenden Gesichter waren nur Tarnung. Warum durfte ich erst 1990 erfahren, unter lauter Widerstandskämpfern gelebt zu haben?

Sie hatten sich wirklich gut getarnt.

Im Palast der Republik – auch respektlos Erichs Lampenladen – genannt, moderierte Carmen Nebel charmant die angemessene Trauerveranstaltung zur freudigen Polit-Geburtstagsfeier um. Die dort auftretenden Künstler murmelten später etwas über Zwang, die leider vorher erkrankten über Widerstand.

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Gorbatschow äußerte sich in Berlin sybillinisch über die Entwicklung in der DDR. Was er nicht wusste: in wenigen Monaten würde sein Imperium zusammenstürzen.

 

08. Oktober 1989. Unser Sohn kam von einer Schulveranstaltung aus dem Pionierlager zurück.

Wir wussten nicht – woher auch – dass es ein Internierungslager werden sollte. Dass wir auch auf der Liste standen.

Seine Frage: Wisst ihr schon, dass die NVA an der Grenze steht?

Er meinte unsere Grenze. Wir wohnten 130 m von der tschechischen Grenze entfernt. Ich machte einen Erkundungsspaziergang. Kinderwagen lagen in den Gebüschen.

Sie hinderten bei der Flucht.

Familien versuchten illegal über die tschechische Grenze nach Ungarn zu kommen. Rostocker, Berliner – Sachsen sowieso.

Nachbarn, aufmerksame Grenzhelfer, informierten ihre zuständigen Dienststellen. Ihr Kommentar später: Weißt du, sonst wäre ich dran gewesen.

Ich weiß.

Aber jetzt waren erst einmal die Ertappten dran.

Die Flüchtigen wurden auf LKWs verladen.

Männer, Frauen und Kinder.

Ins Gefängnis.

Warum blieben sie nicht? Die Wende kam doch. Haben wir doch alle gewusst. Oder?

Ich ging weiter bis an die Grenze. Im doppelten Sinn. Zwei junge Soldaten, mit MPI bewaffnet: Bürger Ihren Personalausweis!

Ich sagte: Ich bin der Ortspfarrer, ich trage meinen Ausweis nie dabei, wenn ich durch den Ort gehe.

Entschuldigen Sie, sagt der Eine, das haben wir nicht gewusst. Sie sind aber verpflichtet, sagte der Andere matt.

Die sollen erst einmal in Berlin ihre Pflicht tun, sagte ich.

Sie nickten.

Am liebsten hätten sie ihre Knarre an einen der umweltgeschädigten Bäume gehängt und wären in Richtung Ungarn hinterhergelaufen.

Vielleicht, sagte ich zu meiner Frau, hält sich das hier nicht mehr lange.

Vielleicht?

       Heinz Eggert

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